Da ich eigentlich noch nicht so richtig weiß, was ich mit diesem
Blog machen soll (außer, je nach Stimmungslage englisch oder deutsch vor
mich hin zu schwafeln), beginne ich mit einer Buchbeschwafelung.
DAS BABYLON-VIRUS
Der Titel hat sofort meine Aufmerksamkeit erheischt, ebenso das Cover
– man sieht ja nicht jeden Tag falsch herum gehaltene Keilschrift in
der Begleitung von Skaraboiden. Ich versprach mir also, ausgehend von
der Bestsellerplatzierung des Werkes, ein flottes und amüsantes
Lesevergnügen, bei dem ich mir regelmäßig vor lauter hilflosem Zorn in
die Unterarme beißen muß, um nicht laut aufzuschreien.
Überraschenderweise war dem nicht so.
Der Autor des Werkes, Stephan M. Rother, scheint einen Magister in
Geschichte zu haben, und das merkt man – was sehr wohltuend ist, bedenkt
man den Fokus des Buches auf “alte Sachen”. Man merkt allerdings auch,
daß sein Magister in Geschichte eher den, äh, rezenteren Perioden der
menschlichen Geschichte gewidmet war. Womit ich sagen will, daß Herr
Mag. Rother bitte in Hinkunft, bevor er die Welt mit einem Buch über
“altbabylonische Prophezeiungen” erfreut, einen Altorientalisten zu Rat
ziehen sollte.
Aber zunächst zu den positiven Aspekten dieses Werkes:
Der Protagonist, Amadeo Fanelli, ein Restaurator für mittelalterliche
Handschriften, dessen Passionen Händel (der Musiker, nicht das
diminuitivierte Huhn) und Friedrich II. sind, ist sympathisch
geschrieben und wirkt sehr realistisch. Man fragt sich, wie viel von dem
Autor selbst da in den Charakter eingeflossen ist. Kein Tausendsassa,
sondern ein umfassend gebildeter Geisteswissenschaftler, was glaubhaft
rüberkommt.
Die Sprache ist teilweise ebenfalls ein Genuß. Rother weiß recht gut,
wann er ein gewitztes kleines Wortspiel einbauen kann, so daß es der
Ernsthaftigkeit der Geschichte nicht abträglich ist, Inhalt vermittelt
und dem Leser ein Vergnügen ist. Andere Rezensenten haben ihn mit
Umberto Eco verglichen, was meiner Meinung nach stark übertrieben ist
(Merke: Nur weil der Großteil der heutigen Autoren ein geringes
Vokabular haben und nicht wissen, was Wortspiele sind, heißt das noch
lange nicht, daß Rother es mit Eco aufnehmen kann!), aber der Mann
versteht sein Handwerk.
Dazu gehört auch, wie er Charaktere zeichnet – prägnant und gut. Hat mir gefallen.
Der Plot allerdings…. ja. Der Plot. Da hapert’s doch gewaltig.
Ich weiß ja nicht, wie göttliche Plagen sich ausbreiten, aber daß das
“Babylon Virus” auf einer Tontafel klebt, scheint mir etwas
unwahrscheinlich.
… und mal ganz ehrlich, Herr Rother: Auch wenn der
Sekundärprotagonist ein Professor für mittelalterliche Paläographie und
Goethe ist, wird ihm kein Altorientalist der Welt eine Keilschrifttafel,
die gerade aus dem Iraq kommt, einfach per Post zusenden, damit er sie
sich mal ansehen kann. Die Dinger sind selten (fast möchte man sagen
“einzigartig”), und ich nehme mir nicht zu viel heraus wenn ich sage,
daß Professoren für Paläographie keine Keilschriftleser sind.
Es ist mir
schon klar, daß der Professor als eine Art Universalgenie konstruiert
ist, der in jeder toten und lebendigen Sprache der Welt mehr oder minder
fließend zu sein scheint, aber trotzdem: Man liest ned einfach so eine
Keilschrifttafel, wenn man kein Spezialist ist. Und auch als Spezialist
kriegt man keine Tafeln per Post frisch von der Grabung zugeschickt. Das passiert einfach nicht.
Was mich gleich zum meines Erachtens nach größten Handlungsproblem bringt:
Die gesamte frohe Schnitzeljagd quer durch Europa, um herauszufinden, wo
“die Babylonier” das Heilmittel gegen die Seuche Gottes verborgen
haben, hätte man sich sparen können, wenn der Professor einen
Altorientalisten gefragt hätte, was auf der Tafel steht. Damit wäre halt
die Handlung etwas reduziert gewesen. Dennoch: Ab dem Moment, wo klar
wurde, daß der Professor DIE TAFEL hat, wirkte für mich der Plot etwas
aufgesetzt. Warum nicht bei den Leuten, die sich damit auskennen,
anrufen und fragen, was auf dem Ding steht? Hätte Menschenleben gespart,
ebenso Munition und Geld sowie allerlei Sachbeschädigungen. In
Deutschland sind genug Altorientalisten, die Keilschrift fließend lesen
können.
Nächster assyriologischer Kritikpunkt:
Es freut mich, daß nicht nur der universalgelehrte Professor anscheinend Keilschrift lesen kann, sondern auch dottore
Fanelli, der Restaurator, schon im Entziffern von Keilschrift geschult
wurde. “Einführung ins Akkadische für Geisteswissenschaftler” wird ja
auch regelmäßig angeboten. Wenn die beiden Charaktere jedoch tatsächlich
in Keilschrift bewandert wären, würden sie sich dessen bewußt sein, daß
ihre beste Chance, dieses Problem zu lösen, ist, einen Experten zu
fragen, anstatt alles auf Fanellis Schnitzeljagd zu setzen.
Dazu kommt ja noch, daß zwar regelmäßig erwähnt wird, daß das Virus
zum Tod führt, aber das kontinuierliche Dahinsterben der Menschheit um
die Protagonisten herum wird nie wirklich in seinem vollen Ernst (und
Horror) bewußt gemacht. Die Leute sterben wie Fliegen, aber naja. Man
zuckt halt mit den Schultern. Da helfen auch Bodycounts nicht, die von
den Protagonisten mit ebensoviel Gefühl erwähnt werden, wie der
Schnittlauch in einem Salat, den man gegessen hat.
Die Szenen, in denen Fanelli &co sich der Entschlüsselung der
Hinweise von Händel und Goethe widmen, sind wesentlich mitreißender,
spannender und lebendiger beschrieben, als all jene, in denen der Virus
die Menschen dahinrafft. Die Plünderungen sind auch eher halb unsichtbar
am Rande eingestreut – da hätte man viel draus machen können, aber das
kommt evtl. daher, daß ich sonst eher Horror lese.
Die Altorientalistik hätte viele dieser sinnlosen Tode verhindern können. Um das mal angemerkt zu haben.
Die Beschreibung von Rother des Keilschriftzeichens für “Venus” hat
mich persönlich etwas verwirrt – ein “achtstrahliger Stern”? Meint er
Fig. 1 oder Fig. 2?
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Fig. 1.: Keilschriftzeichen AN “Himmel”, DINGIR “Gottheit, göttlich” |
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Fig. 2.: Darstellungen der mit Inanna (Venus) assoziierten Rosette (vgl. Selz 2004) |
Falls 2. gemeint ist, ist “achtstrahliger Stern” ein wenig unpräzise,
v.a. da die Rosette a) auch mit weniger oder mehr “Blättern”
dargestellt werden kann, und b) sie eher als Symbol denn als
Keilschriftzeichen zu verstehen ist. Das eigentliche Keilschriftzeichen
für die Venusgottheit ist im Sumerischen MÙSZ (Fig. 3), zurückgehend auf
die sog. Standarte der Venusgottheit Inanna, wie wir sie von
Abbildungen aus dem alten Mesopotamien kennen, wo sie als
architektonisches Element von “Tempeln” (der Inanna geweiht) auftauchen (vgl. Fig. 4 - die "Bündel", die aus dem Gebäude rausragen).
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Fig. 3.: Keilschriftzeichen MÙSZ |
Ich war jedenfalls etwas konfus und hätte mich gefreut, wenn der Autor da genauer gewesen wäre.
Wenn das Ende des Buchs, in dem die “babylonischen” Elemente
vorkommen, so enthusiastisch und lebendig geschrieben worden wären, wie
die sich mit Goethe, Händel und Friedrich II. beschäftigenden, wäre “Das
Babylon Virus” sicher deutlich glaubwürdiger.
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Fig. 4. archaisches Rollsiegel (vgl. Steinkeller 1998) |
…das Ende. Aber dazu später.
Ein weiteres sich stellendes Problem ist, daß der Autor prinzipiell
die Überlieferungen der Bibel und primär der katholischen
Glaubensparadigmen als Grundlage für die Handlung des Buches verwendet.
Spielt “Das Babylon Virus” in einer alternativen Realität, in der die
Bibel tatsächlich wahr ist und Gott und seine Engel existieren und in
der Menschheitsgeschichte rumpfuschen? Oder ist es ein Buch für
Christen? Ich würde mich freuen, wenn Bücher für ein spezifisch dem
christlich-katholischem Glauben angehörendes Publikum gekennzeichnet
werden könnten.
Und wenn es eine Welt ist, in der YHVH, der Herr der Heerscharen und seine Engel existieren (...implicite
dann auch Satan?) und in der die katholische Kirche Recht hat und die
Bibel ein Tatsachendokument ist – die philosophischen Implikationen
(jeder, der nicht an Jesus glaubt, kommt in die Hölle, was schon von
Natur aus alle Menschen, die vor Jesus lebten, in den feurigen Schlund
verbannt – sehr nett, danke) bleiben komplett unausgesprochen bzw.
werden scheinbar nicht angedacht.
Primär fragte ich mich, was für eine Art von Höchstem Wesen (vulgo “Gott”) denn bitte auf die Idee kommt, die Menschheit wegen des Internets
(Informationsbabel, I see what you did there…) mit einem Virus, der
eine gezielt die Sprachzentren des Gehirns angreifende Enzephalitis
(Gehirnhautentzündung) hervorruft – wenn man nicht zuvor stirbt -, zu dezimieren und zu sprach- und verstandlosen Kreaturen zu machen? Als Strafe für das Internet?
Man fühlt sich fast in das babylonische Atramhasis-Epos
hineinversetzt, wo der grantelnde Enlil die Menschheit ob ihres
Lärmpegels und ihrer lästigen Art auf verschiedenste Arten und Weisen
auszulöschen versucht. Da wird die Menschheit allerdings von einem
anderen Gott gerettet.
In “Das Babylon-Virus” herrscht ein strengerer Gott, dem all diese
menschliche Ambition zutiefst suspekt ist und der gedenkt, einen
Präventivschlag zu führen. Das ist doch schon eher Horror-Material als
“flotter Mystery-Thriller”. Wie besänftigt man diesen Gott? Aus dem
Regelwerk des Alten Testaments läßt sich ja eine ganze Menge an
Anleitungen entnehmen, die allesamt recht unmenschlich und/oder
lächerlich sind – gelten die? Mit dem Material dieses Buches wäre es
durchaus möglich, ein absolut wahnsinniges Stück modernen Horror zu
schreiben – à la Kult + Lovecraft.
Im
Großen und Ganzen hat mir der Anfang, in dem herumgewissenschaftlert
wird, daß es eine Freude ist, sehr gefallen. Man merkt, daß dem Autor
die Themen, die auch unserem Protagonisten am Herzen liegen, Spaß machen
– er zeigt die Freude des Experten am Teilen seines Wissens. Persönlich
hat mich der Part mit dem vom Dichterfürsten selbst verfassten Gedicht
am meisten begeistert, wahrscheinlich wegen meiner eigenen Vorliebe für
Goethe.
Die Semiotik der Schnitzeljagd wurde für mich ab des Händelschen
Oratoriums und seiner Implikationen in Edgware (! – war der Autor schon
in Edgware??) mühsam, es wirkte alles sehr an den Haaren herbeigezogen.
Das Spiel mit den Parallelen zu anderen Oratorien wirkte, als sollte es
gewift und schlau und gelehrt sein, kam allerdings vielmehr konfus
rüber. Die stammelnden Verweise auf weitere biblische Verweise auf
Babylon (bzw. der Bibel Bild von Babylon) waren etwas gekünstelt – ich
hatte den Eindruck, als sollen einfach so viele kluge Referenzen zu
Babylon als möglich eingebaut werden, um den Leser keine Sekunde lang
vergessen zu lassen, daß wir es hier mit echt alten Sachen zu tun haben.
Auch scheint Herr Rother sich nicht ganz klar zu sein, wie biblische
Chronologie und außerbiblische Chronologien (Realitaeten) sowie deren
Zusammenspiel funktionieren.
Beispiel: “Babylon”.
Es wird davon ausgegangen, daß die alttestamentarische Erzählung vom Turmbau zu Babel (
Gen 11, 1-9)
ein Tatsachenbericht ist – mit dem einzigen Unterschied, daß nach der
babylonischen Sprachenverwirrung (in Babylon) noch ein Engel daherkam
und ein Heilmittel gegen die Sprachenverwirrung brachte.
Das Heilmittel wurde von “den Babyloniern” versteckt.
Die biblische Erzählung nehmen wir an datiert auf ca. 700 oder 800 BCE.
Wir haben aus dieser Zeit massiv viele Keilschrifttexte. Würde nicht
zumindest einer von denen auf diesen von Gott (singularis maiestatis) gesandten Virus eingehen?
Wir können administrative Archive rekonstruieren, die wirtschaftlichen
Entwicklugen im kleinsten Detail nachverfolgen, haben Literatur, Briefe,
Kompendien… die lingua franca des Vorderen Orients war Akkadisch
(Babylonisch bzw. Assyrisch), es würde doch sicher irgendjemandem
auffallen, daß plötzlich der liebe Gott wegen eines Turmbaus in Babylon
die Menschheit mit einer Seuche straft, die alle Überlebenden in
lallende Narren verwandelt.
Es wird außerdem vom Autor mit großer Regelmäßigkeit darauf
hingewiesen, daß “die Babylonier” vor 5000 Jahren lebten. Das ist leider
falsch, da hat er leider die Babylonier mit den Sumerern verwechselt.
Das ist in etwa so, als sagte man “die Deutschen” und meinte aber “die
Griechen zur Zeit des Aristoteles”.
Wäre Herr Rothe ein Nichtakademiker,
würde ich das mit einem Schulterzucken hinnehmen, denn auch (bzw.
gerade) in Zeiten des Internets ist es scheinbar nicht möglich, daß
Leuten eine zumindest grundlegende Hintergrundrecherche für ihre Ideen
zugemutet werden kann. Ein Historiker allerdings..
.
Auch wenn ich verstehen kann, daß Herr Roth nicht unbedingt
haufenweise Fachliteratur lesen wollte – einfache Bildbändchen wie
Astrid Nunns
“Alltag in Mesopotamien”
sind in einem Nachmittag durchgesehen. Inklusive ansprechender Bilder.
Bedenkt man allerdings, daß der ganze Babylon-Fokus ein bedeutendes
Hauptelement des Buches ist, hätte man von dem Autor doch eine kurze
Durchsicht des zweibändigen Ausstellungskatalogs
“Babylon – Mythos und Wahrheit” erhofft. Aber es hat offensichtlich nicht sein sollen.
Zurück zur Chronologie.
Wenn er Sumerer und Babylonier miteinander verwechselt, macht das schon
vieles klarer, aber wirft erst recht chronologische Probleme auf: Vor
5,000 Jahren gibt es nirgendwo auf der gesamten Welt irgendwelche
Hinweise auf den lieben Gott aus dem AT oder gar seiner katholischen
Version (ich sag nur “Dreieinigkeit”), nicht mal auf Vorläufer. Und zwar
gab es in Babylon einen Ziqqurat, aber der wurde erst viel später
gebaut, und zu dem Zeitpunkt sprachen auch nicht “die Menschen” alle
eine hypothetische Ursprache, die durch den Akt des Turmbaus vom
zornigen Herr der Heerscharen vernichtet wurde.
Und auch wenn der Autor eigentlich die Sumerer meint, wenn er von
“den Babyloniern” spricht, macht es keinen Sinn, weil zu dem Zeitpunkt
Babylon noch nicht existierte.
Ich kann mir all diese Diskrepanzen nur
dadurch erklären, daß der Roman in einer alternativen Realität spielt,
in der alles ganz anders ist und die Menschheit im Garten Eden
erschaffen wurde, alle von Adam und Eva abstammen, alle eine Ursprache
sprachen (das wär dann wohl Hebräisch, nehm ich an?), Gott regelmäßig
zum Genozid aufruft, Plagen über Völker bringt, die er nicht mag, oder
menschliche Aspiration mit tödlichen Virenattacken kontert. Ganz ein
Lieber.
Vom Ende will ich gar nicht sprechen…
…einzig: Bei Schätzings
“Der Schwarm”
funktioniert es. Bei “Das Babylon-Virus” funktioniert es nicht. Und im
Kontext des katholischen Paradigmas, in das die Geschichte eingebettet
ist, macht es auch keinen Sinn.
Das Buch ist an den Stellen, die sich mehr mit Amadeo und
intellektuellem Abenteuern quer durch die Weltgeschichte beschäftigen,
wirklich gut geschrieben und anregend zu lesen, was ich gerade von
deutschsprachigen Autoren eher selten erwarte. Aber es krankt an den
zugrundeliegenden Problemen, was das Setting angeht, der schlampigen
Recherche – und dem hochgegriffenen Ziel, einen apokalyptischen Thriller
mit Action-Elementen zu schreiben. Der Mann kann keine aufregenden
Action-Sequenzen schreiben (was ihm unbenommen sein soll – ich kann auch
keine Action schreiben; deshalb hüte ich mich auch davor, es zu tun),
und über den Apokalypse-Faktor habe ich schon oben geklagt. Das
Goethe-Gedicht war allerdings wie gesagt genial.
Ich bin echt hin- und hergerissen. Rother zeigt am Anfang des Romans
wirklich, was er kann, schreibt mitreißend und beschwingt. Und dann
zerbricht der Rhythmus der Geschichte. Schade. Hätte besser sein können.
Selz, G. J. 2004, Early Dynastic Vessels in ‘Ritual’ Context, WZKM 94, pp. 185-223.
Steinkeller, P. 1998, Inanna’s Archaic Symbol, pp. 87-97 + 3 plates, in FS Szarzyńska